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13. Mai '22

Eine Besprechung im Campingwagen am See, das Homeoffice im fränkischen Dorf oder sogar in Lissabon: Es muss nicht die Firmenzentrale sein; heute kann von vielen Orten aus gearbeitet werden. Mit der richtigen Gestaltung ermöglichen neue Arbeitsorte den Einklang von Leben und Arbeit, wie Prof. Mark Phillips erklärt. Er lehrt an der Fakultät Design der Hochschule Coburg und forscht über New Work und New Office.

Vor fünf Jahren kannte kaum einer den Begriff New Work. In der Pandemie wurde er zu einem gern genutzten – und oft falsch verstandenen – Schlagwort. Was sind die größten Missverständnisse?
Prof. Mark Phillips: Erstens: Ich kann nicht von persönlichen Erfahrungen auf die Allgemeinheit schließen. In den Sozialen Medien ist es die Norm, aber das ist sehr weit entfernt von wissenschaftlichem Denken. Zweitens: Etwa fünf Jahre vor der Pandemie kam in einer großen wissenschaftlichen Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) heraus, dass manche Menschen im Homeoffice effektiver und effizienter arbeiten, und dass es dazu beiträgt, Arbeit und persönliche Lebensumstände besser in Einklang zu bringen. Kind ist krank, ich muss zum Frisör oder etwas einkaufen: All das lässt sich ja nicht so einfach mit einem Nine-to-five-Büro-Job verbinden. Ähnliches wurde auch während der Pandemie festgestellt. Aber Corona war kein großes Homeoffice-Experiment, kein strategisch geplantes Projekt. Es war eine Notlage und es ist absurd, daraus wissenschaftliche Erkenntnisse ziehen und 1:1 in den Alltag übernehmen zu wollen. Das ist das zweite große Missverständnis. Das dritte ist, dass New Work nicht nur Homeoffice bedeutet. Es geht darum, dass man ein glücklicherer Mensch ist, wenn man selbstbestimmt arbeitet.

Sie sind Architekturforscher, Professor für experimentellen Raum, und Sie leiten den Bachelor-Studiengang Innenarchitektur an der Hochschule Coburg. Wie kommen Sie zu dem eher sozialwissenschaftlichen Thema New Work?
Wir nutzen Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen. Den Begriff New Work hat der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann geprägt. Er beschäftigte sich mit sinnstiftender Arbeit. In den Sozialwissenschaften und der Betriebswirtschaft wurde dann viel darüber geforscht. Da geht es um Arbeit, bei der ich sage: Das möchte ich wirklich, wirklich tun. Und das möchte ich in diesen Räumen tun. Architektur und Innenarchitektur haben die Aufgabe, diese Räume zu bauen und zu gestalten. Deshalb muss das Thema von uns angegangen werden. Und das habe ich in Deutschland dann getan.

Das heißt?
Nach zwei halben Forschungssemestern 2015 und 2016 habe ich das erste Buch veröffentlicht: Kollisionen: Raum für Kreativität und Innovation im Büro. Es war das erste Mal, dass der Zusammenhang zwischen ungeplanten Begegnungen und Kreativität aus innenarchitektonischer Sicht untersucht wurde. Seitdem forsche ich zu New Work und New Office, wir haben an der Hochschule Coburg im Master Design den Schwerpunkt New Work und verschiedene Seminare zum Thema. Im Lauf von zwei Jahren sind dabei einige sehr gute Arbeiten entstanden. Fünf sehr gute, haben wir überarbeitet und unter dem Titel „New Work – New Office“ im Fachverlag av edition als Buch herausgebracht.

Worum geht es?
Darum, wie man menschengerechte Büroräume schafft und darum, wie künftige Generationen arbeiten wollen. Die Studierenden haben wissenschaftliche Standards eingehalten, die Beiträge aber aus ihren Perspektiven geschrieben. Das ist auch für Fachfremde gut verständlich, für Unternehmenslenker und Managerinnen, für Praktiker und Praktikerinnen und für andere Studierende. Außerdem haben wir weitere einzelne Veröffentlichungen. Wir erleben ein starkes öffentliches Interesse an dem Thema.

Und wie geht es mit Büro und Homeoffice weiter?
Bürogebäude sind seit 100 Jahren Thema. Heute geht es hier darum, Räume für Begegnungen zu schaffen. Das Homeoffice ist eine Sache der letzten Jahre. Würde man sich darüber genauso viele Gedanken machen wie über Bürogebäude, würde beispielsweise die Trennung zwischen Beruf und Privatem besser funktionieren. Und auch an dritten Orten lässt sich besser arbeiten, wenn sie professionell gestaltet sind. Da geht es um Orte, an denen Menschen arbeiten, wenn sie nicht in die Zentrale pendeln aber auch nicht alleine im Homeoffice sitzen wollen. Im Coworking-space in Coburg mit Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten, ist eine Option. Oder in einem Camper am Goldbergsee. Es werden neue Orte zum Arbeiten erschlossen. Bekanntes Beispiel sind die Starbucks Cafés. Oder Portugal, das eine große Workation Destination für Beschäftigte aus den USA geworden ist.

Portugal als working place? Da müssen Arbeitgeber aber viel Vertrauen haben …
Genau. Das ist das gleiche Dilemma, das wir zum Beispiel auch in der Erziehung haben: Kontrolle oder Vertrauen? Wie gehen wir damit um? Es ist eigentlich einfach. Wenn ich keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr bekomme, weil ich ein kontrollierendes Unternehmen bin, braucht‘s keine wissenschaftlichen Studien: Das regelt dann der Markt. Es ist auch eine Generationenfrage. Die Fachkräfte in zehn Jahren sind unsere Studierenden von heute. Sie fragen, wie es funktioniert, Beruf und Privates zu trennen. Oder zu vereinbaren. Arbeit wird als sinnstiftender Teil des Lebens gesehen. Das ist eine interessante Entwicklung, denn wenn wir heute fragen: Wo lebst du? – dann wird kaum jemand antworten: in meinem Büro. Obwohl wir dort sehr viel Zeit verbringen.


Mehr zum Thema

  • New Work – New Office: Ein Reader zu neuen Arbeitswelten. Herausgegeben von Mark Phillips. Stuttgart 2022, 240 Seiten, 34 Euro
  • Das menschliche Büro – The human(e) office“. Herausgegeben von Prof. Dr. Christine Kohlert (Beiträge aus der Hochschule Coburg von Lehrbeauftragter  Angelika Donhauser, Hochschulrats-Vorsitzender Andrea Prehofer und Prof. Mark Phillips mit Studentin Jennifer Vogt)


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