29. April '22
Der Wilde Westen liegt hinter ihr. Rinder, Kakteen, Wüste. Die NASA. Die Gas- und Ölindustrie. Vor ihr liegt Lichtenfels: Hier lehrt Prof. Dr. Madison Wooldridge ab Oktober im neuen Studiengang der Hochschule Coburg „Additive Manufacturing and Lightweight Design“. Sie ist voller Leidenschaft für dieses Thema.
Mit Prof. Dr. Madison Wooldridge über Materialwissenschaften zu sprechen ist lehrreich – und es macht irre Spaß. „Da ist dieses Metall“, erzählt sie, „Shape memory alloy, eine Nickel-Titan-Legierung: Die ist so cool!“ Auf Deutsch heißen solche Metalle Formgedächtnislegierung, und wenn daraus beispielsweise eine Feder gefertigt wird, lässt sie sich biegen, verformen und sogar glattziehen. So weit nichts Ungewöhnliches. „Aber gibt man dann Hitze dazu“, Wooldridges Hände vollführen eine Pirouette in der Luft, „formt sich das Material zurück in den ursprünglichen Zustand.“ Im Internet kursieren eine Menge Videos über diesen Effekt: Ein unförmiger Draht wird mit einem Brenner erhitzt oder in warmes Wasser gelegt und nimmt dann zum Beispiel die Form einer Feder an. Wooldridge strahlt wie ein Zauberkünstler über einen gelungenen Trick. Aber es ist kein Trick. Es ist eine Besonderheit auf molekularer Ebene, die dazu führt, dass die Metalle abhängig von der Temperatur in zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen existieren. Die Memory-Metalle sind ein Beispiel für neue Materialien, die sich für den 3D-Druck eignen.
Neuer Masterstudiengang startet im Wintersemester
„Wenn man ein Material, wie man es seit Jahrhunderten kennt, für einen additiven Fertigungsprozess benutzt, hat es andere Eigenschaften“, erklärt Wooldridge. Die Amerikanerin kam im Wintersemester 2021/22 als Professorin für Werkstoffkunde für Metalle insbesondere der additiven Fertigung an die Fakultät Maschinenbau und Automobiltechnik der Hochschule Coburg. Und sie wird eine der ersten sein, die am neuen Hochschul-Standort Lichtenfels lehren und forschen, wenn der Masterstudiengang Additive Manufacturing and Lightweight Design hier im Oktober 2022 startet. Er wird im Forschungs- und Anwendungszentrum für digitale Zukunftstechnologien (FADZ) zuhause sein. In der gemeinsamen Forschungs- und Transferstelle regionaler Unternehmen und der Hochschule Coburg dreht sich alles ums Thema 3D-Druck. Wooldridge passt hier perfekt hin: Sie liebt die Forschung, die Diskussion mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – aber auch die Praxis und den Austausch mit der Industrie. „Das Konzept einer Hochschule für angewandte Wissenschaften gibt es in den USA nicht“, erklärt die Amerikanerin. „Ich finde es super!“
Madison Wooldridge wurde 1988 auf einer Ranch in Texas geboren. „Und da ist es wirklich so, wie sich die Menschen in Deutschland den Wilden Westen vorstellen: Wüste, Kakteen, Pferde, Kühe, Cowboys.“ Als Kind ritt sie mit, wenn eine Rinderherde zu einer anderen Wiese getrieben wurde. Oder zur Entwurmungskur. Gleichzeitig war ihre Mutter aber auch Wissenschaftslehrerin an der High School. „Unser Spielzeug war alles irgendwie in Richtung MINT.“ Also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. So entstand die Liebe zur Wissenschaft. Als Schülerin durfte Madison Wooldridge sogar am Highschool Aerospace Scholars-Programm der NASA in Houston teilnehmen. Sie liebäugelte mit Medizin und Biomedizintechnik, befasste sich kurz mit Bauingenieurwesen und überlegte, Umweltingenieurin zu werden. Sie wollte etwas Gutes in der Welt bewegen. Schließlich landete sie beim Maschinenbau. „In den USA sagen wir: Das ist das Dach der Ingenieurwissenschaften, damit kannst du alles machen.“
„Wie Science Fiction im echten Leben“
Nach dem Master blieb es erst einmal texanisch: Sie arbeitete in Houston für Baker Hughes, einen Energietechnik-Konzern, der insbesondere für die Öl- und Gasförderung Technologien entwickelt. Als dort vor etwa zehn Jahren ein kleines Team begann, sich mit der additiven Fertigung zu beschäftigen, war Wooldridge dabei. „Eine Art Sand aus Metall mit einem Laser zusammenzuschmelzen“, sie erinnert sich: „Ich fand das so spannend! Wie Science Fiction im echten Leben.“ Die Ingenieurin blieb bei der Firma, wechselte aber in die deutsche Niederlassung in Celle. Promoviert hat sie in Paderborn über nickelbasierte Superlegierungen, die über eine sehr hohe Festigkeit verfügen und gleichzeitig über eine hohe Korrosionsbeständigkeit. „Um wirklich gute Eigenschaften zu erreichen, muss man an den Materialien arbeiten.“ Und dann gibt es ganz neue, coole Möglichkeiten. 3D-Druck und Leichtbau helfen zum Beispiel auch, nachhaltig zu konstruieren und zu produzieren, denn was vor Ort „gedruckt“ wird, muss nicht transportiert werden, es wird oft weniger Material benötigt, weniger Energie – und wenn’s um Teile in Fahr- oder Flugzeugen geht, spart der Leichtbau in der Nutzung auf Dauer Energie.
Auf diese Weise kann die Materialwissenschaftlerin etwas Gutes in der Welt bewegen. Und auch dadurch, dass sie den Studierenden hilft, ihren Weg zu finden. „Bei mir hat es ein bisschen lange gedauert, bis ich herausgefunden habe, was ich genau machen will.“ Als Professorin kann sie die jungen Menschen heute in einem Alter erreichen, in dem sie selbst noch kein festes Ziel hatte. Sie kann sie auf den Beruf vorbereiten. „Ich will die Lehre mit Leidenschaft rüberbringen, mit Spaß. So dass die Studierenden sagen:“ Sie zeigt das Zaubertrick-Lächeln, „Materialien finde ich richtig cool.“
Über Additive Manufacturing and Lightweight Design und die anderen Masterstudiengänge informiert die Hochschule im Master-Mai. Mehr darüber steht hier.