2. Mai '24
Wenn die Schmerzen beginnen, möchten werdende Mütter sicher sein, dass sie in kompetenten Händen sind. Dann wünscht sich jede Gebärende die absolute Aufmerksamkeit einer Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine gelernte Hebamme. An der Hochschule Coburg werden Studierende zu solchen Geburts-Profis ausgebildet und mit dem aktuellsten Fachwissen ausgestattet.
Mehr als 500 Kilometer hat die Wienerin zurückgelegt, um die Hebammen von Morgen auszubilden – Prof. Karin Handl unterrichtet nun in Bamberg: „Ich will junge Menschen so auf ihrem Weg zum Hebamme-Sein begleiten, unterstützen und sicher gehen, dass sie die Hochschule als kompetente Hebammen verlassen. Man kann nicht alles wissen, aber die Absolventinnen müssen handlungsfähig sein, ihre Grenzen kennen und wissen, wo sie nachschauen können, wenn sie etwas nicht wissen.“
Hebammenwissenschaft ist ein duales Bachelorstudium, in dem sich die Studierenden an der Hochschule das notwendige theoretische und praktische Wissen zur Geburtenhilfe und Säuglingspflege erarbeiten. Während der gesamten Studiendauer an den Bamberger Akademien sind sie in einer von mehreren Partnerkliniken angestellt. Dort absolvieren sie ihre Praktikumseinsätze, begleiten erfahrene Hebammen in den Diensten und übernehmen nach und nach Aufgaben. Mindestens einmal während der Studienzeit lernen sie in einem externen Praktikum die freiberufliche Hebammentätigkeit kennen. Der klassische Werdegang einer Hebammenausbildung bekommt so einen wissenschaftlichen Unterbau und Fähigkeiten, auf die heute nicht mehr verzichtet werden darf, sagt Professorin Handl: „Die Betreuung und Begleitung von (werdenden) Müttern und Neugeborenen war schon immer die Essenz der Ausbildung und wird es auch im Rahmen des Studiums bleiben. Die übliche Ausbildung wird es bald so nicht mehr geben und das duale Studium wird der einzige Ausbildungsweg zur Hebamme sein.“
Wissenschaftliches Arbeiten in der Geburtshilfe
Denn auch wissenschaftliches Arbeiten brauchen die modernen Geburtenhelferinnen und -helfer immer mehr: Wie liest und interpretiert man eine Studie? Woran erkennt man gute Forschung? Und wie kann man selbst etwas erforschen? Diese Fragen werden im Zuge des Studiums beantwortet, versichert Handl: „Viele Hebammentätigkeiten basieren bislang auf Erfahrungsevidenz. Das Studium erweitert diese Komponente um die wissenschaftliche Evidenz, die in der Medizin bereits länger zum Standard gehört.“ Einer der ältesten Berufe der Welt erhält damit ein wertvolles Upgrade, das es auch ermöglicht, von anderen Berufsgruppen, auf Forschungsebene, unabhängiger zu werden. Ein in Deutschland schon längst überfälliger Schritt, betont Professorin.
Noch befindet sich der Studiengang allerdings im Aufbau. Das ist Chance und Herausforderung zugleich, weiß die Professorin: „Mit jedem Jahrgang lernen wir viele junge Frauen kennen, die Hebammen werden wollen und zielstrebig den Weg dahin verfolgen. Wir haben viele externe Lehrende, die Praxispartner und Praxispartnerinnen und unser Kernteam, die die Studierenden unterstützen. Doch wir brauchen noch Ressourcen: personelle, um das Kernteam zu erweitern, und zeitliche, um Modulhandbuch, Praktikums-Curricula oder auch Examensprüfungen qualitativ hochwertig zu konzipieren.“
Handl promoviert selbst als Nachwuchsprofessorin an der Hochschule Coburg. Ihre langjährige Erfahrung als Hebamme im Klinikdienst und der Wochenbettbetreuung hilft ihr dabei, ihre Vorlesungen praktisch zu gestalten, um Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln: „Wissenschaftliche Evidenzen, Forschungsergebnisse und Erfahrungsevidenzen sind für mich die Grundlage, um die relevanten Inhalte für das Studium auszuwählen. Die Darbringungsform hängt von der Lehrveranstaltung ab und ermöglicht es, den zukünftigen Arbeitsalltag der Studierenden früh zu berücksichtigen. Manchmal trainieren wir im ‚Skills Lab‘ am Modell eine Geburt zu leiten, ein anderes Mal präsentiere ich ein Thema und wir tauschen unsere Erfahrungen dazu aus.“
Simulation unter realitätsnahen Bedingungen
Beim Skills Lab handelt es sich um Räume, die real eingerichtet sind, wie zum Beispiel Kreißzimmer, in denen Simulationen stattfinden, um Arbeitssituationen so realitätsnah wie möglich zu trainieren. Dort, wo es bereits möglich ist, kommen die Studierenden selbst ins Forschen und Erforschen.
Für werdende Mütter hat diese Form der Hebammen-Lehre konkrete Auswirkungen, weiß die Professorin: „Die Überprüfung von Interventionen und das Abwägen von Nutzen und Risiken bringt eine Veränderung im Einsatz dieser Interventionen. Manche Tätigkeiten werden aus der Geburtshilfe verschwinden, andere werden sich etablieren. Eine Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt zum Beispiel führt zu mehr vaginalen Geburten und weniger höhergradigen Geburtsverletzungen. Das ist wissenschaftlich belegt und es liegt an uns allen, diese Erkenntnis in die Praxis zu implementieren.“
Gesuchte Fachkräfte
Aber nicht nur die Kompetenz, auch die Arbeitsbedingungen und die Fachkräfteknappheit haben direkte Auswirkungen auf Patientinnen. In einer Umfrage des Deutschen Hebammenverbands gaben 70 Prozent der befragten Hebammen an, dass sie in der Klinik häufig drei oder mehr Frauen parallel betreuen. 90 Prozent der Hebammen beklagten Überstunden (Quelle: Deutscher Hebammenverband, 2022). Auch damit umzugehen zu lernen, ist Teil der Ausbildung: „Keine Hebamme lehnt gerne die Übernahme der Betreuung von Frauen ab. Noch schwieriger fällt es, wenn es zu wenig Kapazitäten gibt. Gut ausgebildete Hebammen, die verantwortungsbewusst die vielfältigen Aufgaben erfüllen können, werden heute also noch stärker gebraucht als zuvor.“
Trotz mancher Hürden lehrt Professorin Karin Handl mit Leidenschaft: „Für mich ist es ein Privileg zu sehen, wie sich innerhalb von dreieinhalb Jahren die Studierenden zu kompetenten Persönlichkeiten entwickeln und sowohl fachlich als auch persönlich reifen. Es ist etwas Besonderes, beim Aufbau eines neuen Studiengangs mitzuwirken, obwohl es den Beruf bereits sehr lange gibt. Diese Möglichkeit gibt es in vielen anderen Berufen nicht. Es ist schön, wenn man Studierende sogar für die Geschichte des eigenen Berufsstands begeistern kann – dann weiß man, dass sie hier richtig sind.“
Der Studiengang Hebammenwissenschaft ist an die Fakultät Angewandte Naturwissenschaften und Gesundheit angegliedert, dauert sieben Semester und ermöglicht einen Bachelor of Science Abschluss.
Wer Lust hat mitzuwirken, kann uns gern im professoralen Bereich oder als Lehrkraft vor Ort in Bamberg unterstützen.