10. Dezember '18
Am 10. Dezember 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Zum 70. Jahrestag der Unterzeichnung blickt Prof. Dr. Claudia Lohrenscheit kritisch auf die aktuelle Lage.
Frau Lohrenscheit, Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind Rechte, die für jeden Menschen selbstverständlich sein sollten. Wie beurteilen Sie die Lage der Menschenrechte weltweit?
Es gibt kein Land, das diese Rechte voll und ganz verwirklicht. Im Gegenteil: In einigen Fällen werden Menschenrechte sogar stark vernachlässigt. Ein aktuelles Beispiel ist der UN-Migrationspakt. Die Tatsache, dass auch von demokratischen Staaten so viel Widerstand gegen diese Mindeststandards für Flucht und Migration kommt, ist aus Sicht der Menschenrechte verstörend. Zumal klar ist, dass unsere Gesellschaft auch in Zukunft mit dem Thema konfrontiert sein wird. Denn die Ursachen dafür, dass Menschen fliehen, bleiben weiterhin bestehen. Durch weitere Herausforderungen, wie den Klimawandel, können sie sogar noch zunehmen.
Wo sehen Sie konkreten Handlungsbedarf?
Momentan arbeitet die Bundesregierung daran, die Rechte von Kindern im Grundgesetz zu verankern. Dieses Ziel liegt mir sehr am Herzen. Ich glaube, unsere Gesellschaft wäre eine andere, wenn der Schutz und die Förderung von Kindern und Jugendlichen oberste Priorität genießen würde. Und wenn Kinder und Jugendliche ein abgesichertes Mitspracherecht bekämen. So könnten sie von klein auf lernen, was Demokratie heißt. Warum sollen zum Beispiel nicht schon Grundschüler wählen dürfen? Das Wahlrecht muss doch nicht zwingend an das Alter gebunden sein. Das ist eine willkürlich gesetzte Grenze, über die wir noch einmal nachdenken könnten. Das gilt übrigens auch für behinderte Menschen, denen vielfach ihr Wahlrecht vorenthalten wird.
Was kann jeder Einzelne von uns tun, um die eigenen Rechte und die Menschenrechte anderer zu stärken?
Mitmachen! Am besten ist es, sich in bestehenden Gruppen und Netzwerken zu engagieren, denn gemeinsam können wir mehr erreichen und eine größere öffentliche Sichtbarkeit herstellen. An der Hochschule Coburg startet beispielsweise eine Gruppe von Studierenden, die zur Menschenrechtsorganisation Amnesty International gehören, immer wieder Aktionen. Mit ihren „Briefen gegen das Vergessen“ machen sie regelmäßig auf Einzelschicksale aufmerksam. Amnesty erreicht damit zum Beispiel, dass Menschen aus der Haft entlassen werden. Aber auch als Einzelperson können wir etwas tun. Jeder sollte sich Gedanken machen, was Werte wie Freiheit, Würde und Solidarität heute konkret bedeuten. Indem wir darüber mit Freunden und Familie sprechen, schaffen wir ein Alltagsverständnis und lassen Menschenrechte lebendig werden. Es ist wichtig, sich kontinuierlich einzusetzen und nicht erst, wenn konkrete Gefahren drohen. Allein in Deutschland gibt es gut 200 verschiedene Menschenrechtsorganisationen – da ist genug Platz für jeden von uns!
Die Fragen stellte Anke Hempfling.
Menschenrechte
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte besteht aus 30 Artikeln. Sie sind das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal. Menschenrechte gelten für alle Menschen – ohne Unterschiede zu machen etwa aufgrund von Nationalität, Alter, Behinderung, Geschlecht oder Hautfarbe. Sie definieren zum Beispiel die Rechte auf Meinungsfreiheit, Bildung oder soziale Sicherheit und verbieten Diskriminierung, Sklaverei, Folter oder willkürliche Verhaftung. Menschenrechte legen aber auch die Verantwortung fest, die jeder gegenüber der Gemeinschaft hat.