20. Januar '21
Nicht nur bis zur Entlassung aus der Klinik: Das Deutsche Herzzentrum München will die Versorgung von chronisch kranken Patienten mit angeborenen Herzfehlern langfristig verbessern. Daran arbeitet es gemeinsam mit der Hochschule Coburg.
Etwa ein Prozent aller Babys kommen mit einem angeborenen Herzfehler (AHF) auf die Welt. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts starben 80 Prozent dieser Kinder in den ersten beiden Lebensjahren. Aber die Medizin entwickelte sich weiter, besonders die Einführung der Herz-Lungen-Maschine war ein großer Schritt. Heute erreichen über 95 Prozent der Betroffenen das höhere Erwachsenenalter. Aber chronisch herzkrank bleiben sie auch bei erfolgreicher Behandlung ihr Leben lang. „In Deutschland gibt es inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen mit angeborenem Herzfehler“, sagt Christina Röhrich, die sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Coburg mit dem Thema beschäftigt. Bei Prof. Dr. Niko Kohls bereitet Röhrich dazu ihre Promotion im Forschungsschwerpunkt Gesundheitsförderung vor.
In einer Kooperation mit dem Deutschen Herzzentrum München (DHM) ermitteln die Coburger Wissenschaftler, welchen Bedarf die Patientinnen und Patienten haben. Und zwar diejenigen, die erwachsen sind. Während das vor ein paar Jahrzehnten fast ausgeschlossen war, gibt es heute bereits 330.000 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. „Es ist aber eine Versorgungslücke entstanden“, sagt Röhrich.
Prof. Dr. Dr. Harald Kaemmerer, Leiter der Ambulanz für angeborene Herzfehler am DHM, spricht sogar von einer „vergessenen Patientengruppe“. In der Kinderkardiologie werden Kinder und Jugendliche mit AHF zwar sehr gut und sehr lange behandelt – „aber irgendwann, wenn der Patient oder die Patientin so Mitte 20 ist, kommen Dinge hinzu, mit denen sich Kinderärzte wenig beschäftigen: eine Schwangerschaft zum Beispiel.“ Hausärzte, praktische Ärzte und Allgemeinmediziner werden immer häufiger mit den sehr speziellen, komplexen AHF konfrontiert.
Gesundheitsförderung für chronisch Kranke
„Wir nehmen an, dass sich weit über 200.000 Menschen in Deutschland nicht in adäquater Nachsorge befinden“, sagt Kaemmerer. „In der Klinik sehen wir sie häufig erst, wenn ernsthafte Probleme auftreten.“ Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen oder Entzündungen der Herzinnenhäute. Erschwerend hinzu kommen typische Erwachsenenprobleme zum Beispiel mit Stoffwechsel, Niere, Leber oder Störungen des zentralen Nervensystems. „Über die Hälfte unserer Patienten sind übergewichtig und haben Bewegungsmangel. Oft hat man ihnen fälschlicherweise gesagt, dass sie sich wegen ihrer Erkrankung nicht bewegen dürfen.“ Mit Unterstützung des Vereins Herzkind e.V. hat das DHM deshalb das Projekt „MERLIN AHF“ ins Leben gerufen. Die Abkürzung steht für „Medizinische Erfolge langfristig bewahren durch integrierte Versorgung angeborener Herzfehler“. Die Patienten sollen über lange Zeit begleitet werden. „Ich bin Kliniker“, sagt Kaemmerer. „Wir brauchen dabei Kooperationen mit Menschen wie Professor Kohls und seinem Team.“
Die Coburger erforschen nun, wie die Betroffenen durch Prävention und Gesundheitsförderung unterstützt werden können. Häufig leiden sie unter Angst- oder Belastungsstörungen. „Ziel ist, den Patienten dabei zu helfen, eine Haltung zu entwickeln, die sie befähigt, selbstbestimmt mit der Situation umzugehen, statt sich passiv in eine Opferrolle zu fügen“, sagt Röhrich „Es geht ja nicht nur um das Herz, sondern um den ganzen Menschen. Gesunder Lebensstil, Stressbewältigungsstrategien, positive Psychologie: Das kann sehr viel bewirken.“