12. Juni '24
Von Natalie Schalk
Verwandelte Standardsituationen, Passerfolg, Ballbesitz: So etwas wird schon lange analysiert. Aber im Profi-Fußball wird heute in allen Bereichen Datenanalyse und KI eingesetzt – von der Suche nach neuen Talenten über die Live-Analyse während eines Spiels bis zum Merchandising. Damit befassen sich Studierende des Masterstudiengangs Data Science der Hochschule Coburg gemeinsam mit zwei Profis des VfL Wolfsburg. Diese Profis des Bundesliga-Vereins sind keine Spieler. Es sind Daten-Spezialisten mit viel Liebe zum Ballsport.
Wenn Benjamin Hoppenz über den „Data Lake“ des VfL Wolfsburg spricht, strahlt er genauso wie wenn er von großen sportlichen Erfolgen erzählt. Die Studierenden im Masterstudiengang Data Science der Hochschule Coburg bekommen regelmäßig Besuch von Praxispartnerinnen und -partnern, die aus ihrem Alltag in der Welt der Daten berichten. Aber dieser Vortrag kurz vor Start der Fußball-Europameisterschaft ist schon besonders. Hoppenz leitet als Koordinator Sport auch das Sports Analytics Technology Lab, die Abteilung, die beim VfL Wolfsburg alles zum Thema Daten weiß. Sein Kollege Lennart Wingerath kommt aus dem Scouting, der Abteilung, die passende Talente für den Verein findet – am besten, bevor sie große Stars sind.
„Tempo“ als Key Performance Indicator des Innenverteidigers
Die beiden Mitarbeiter des niedersächsischen Bundesligisten sind ins fränkische Coburg gekommen, um zu erklären, wie KI und Daten bei so etwas helfen. Hoppenz erzählt den Studierenden, wie der Verein auf diese Weise zum Beispiel Micky van de Ven entdeckte: „Wir hatten fußballerisch den Ansatz, relativ hoch mit der Abwehr zu stehen, also relativ weit weg vom eigenen Tor.“ Die Wölfe brauchten also einen Innenverteidiger, der ziemlich schnell ist. Normalerweise ist die zweite holländische Liga nicht der Bereich, in dem sie als erstes suchen – aber mit Hilfe der Daten fanden sie hier einen jungen Spieler, der beim Key Performance Indicator (KPI) „Tempo“ außergewöhnliche Werte aufwies. „Zu einem Transfer gehören viele Komponenten. Daten sind dabei ein großes Puzzleteil.“ Aber gerade bei der ersten Filterung sind sie sehr hilfreich. „Unsere Philosophie ist, junge, entwicklungsfähige Spieler zu holen und weiterzuentwickeln“, sagt Hoppenz. Bei van de Ven hat das sehr gut funktioniert. Er konnte für eine überschaubare Ablöse verpflichtet werden und entwickelte sich zu einem der schnellsten Spieler der Bundesliga. Als der dann 22-Jährige 2023 nach zwei Jahren zu Tottenham Hotspur wechselte, belief sich die Ablösesumme Medienberichten zufolge auf bis zu 50 Millionen Euro.
Software fürs Daten-Scouting von Absolventen der Hochschule Coburg
Fußballvereine nutzen Datenanalysen, machen aber nicht die Software dafür. Der VfL Wolfsburg arbeitet zum Beispiel mit Produkten von Vebasoft, einem Unternehmen aus Rödental bei Coburg, das webbasierte Datenanalyse- und Organisationssoftware im Sportbereich anbietet – und von einem BWL- und Informatik-Absolventen der Hochschule Coburg gegründet wurde. So kam auch der Kontakt zur Hochschule zustande. Jetzt hören die Studierenden des Masterstudiengangs Data Science gespannt zu, wie KI und Daten nicht nur beim Scouting, sondern zum Beispiel auch in der medizinischen Reha eingesetzt werden. „Unsere Abteilung Datenanalyse ist übergreifend über allen Bereichen angesiedelt“, sagt Hoppenz.
Männerfußball, Frauenfußball und die Akademie: Jeder Fachbereich hat KPIs, die für seine Arbeit besonders wichtig sind.
Benjamin Hoppenz
Bei der Spielanalyse unterstützen die Algorithmen die Trainer zum Beispiel dabei, die Mannschaften, einzelne Spieler und ihre Spielweise live zu analysieren. „Auf jeder Trainerbank gibt‘s ein Tablet. Dahinter steht ein Team, das die Daten so in den Kontext bringt, dass sie den Trainern bei ihren Entscheidungen helfen.“
Von KI mit Deep Learning über Machine Learning und Data Mining bis zu Visualisierung und Cloud Computing
„Datenanalyse, Daten-Handling, Künstliche Intelligenz: Das Thema hat man heute überall“, sagt Prof. Dr. Thomas Wieland, der den Masterstudiengang Data Science an der Hochschule Coburg leitet. Oft gehe es zu Beginn darum, das Data Engineering aufzusetzen, also die Daten aus den verschiedenen Quellen erst einmal zusammenzuführen, zu bündeln und überhaupt für die Analyse verfügbar zu machen. Künstliche Intelligenz mit Deep Learning, Machine Learning und Data Mining, aber auch Visualisierung und Cloud Computing gehören zu den Inhalten, die seine Studierenden lernen. Über die technischen Hintergründe und ein hohes wissenschaftliches Niveau hinaus wird in dem Masterstudiengang außerdem vermittelt, wie Datenanalysen praktisch angewendet werden. Dabei sind die Praxispartner der Hochschule Coburg entscheidend. „Den einen geht’s darum, online Zäune zu konfigurieren, andere kommen aus der Versicherungsbranche oder der Energieversorgung – das ist schon ein Unterschied.“ Um das jeweilige Problem zu verstehen, braucht es also nicht nur einen Zugang zur Welt der Daten – sondern auch zum Thema. Der Master Data Science der Hochschule Coburg ist deshalb offen für Bachelor-Absolventinnen und -absolventen aus verschiedenen Ingenieurwissenschaften, Betriebswirtschaft oder einer Naturwissenschaft. „Es ist eben nicht das Gleiche, ob ich ein Getriebe untersuche oder Veränderungen in der Laufdynamik eines Fußballers“, sagt Wieland.
Jeder Trainer hat seine Spieltaktik – und jeder Verein eine Datenstrategie
Für die Daten im Fußball gibt es viele Quellen – und nicht jeder Verein nutzt sie gleich. Beispielsweise sammeln Vereine während eines Spieles Trackingdaten, teils auch biometrische Daten wie die Herzfrequenz und Schweißkonzentrationen mit Hilfe spezieller Westen. Wer Live-Spiele im Fernsehen schaut, kann das beim Trikotwechsel manchmal sehen. Der VfL Wolfsburg hat sich aber zum Beispiel dafür entschieden, während des Spiels vor allem Video-Daten zu nutzen. Dabei wird die Position jedes Spielers und des Balls in jedem Moment einer Fußballpartie getrackt. Mit Videodaten der Deutsche Fußball Liga (DFL) kann in jedem Stadion sehr schnell jede Bewegung berechnet werden. Jeder Trainer hat seine Spieltaktik – und jeder Verein seine Datenstrategie. „In den letzten Jahren hat sich das rasant entwickelt sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in qualitativer Hinsicht. Die Datenqualität hat sich erhöht. Die generellen Daten, die zur Verfügung stehen, sind immer mehr geworden.“ Sie seien eine große Hilfe. Hoppenz lächelt: „Aber am Ende stehen 22 Jungs oder Mädels auf dem Platz und dort entscheidet sich, wie das Spiel ausgeht.“
Podcast
Mehr zur Datenstrategie im Fußball gibt’s im neuesten Podcast der Hochschule Coburg mit Benjamin Hoppenz vom VfL Wolfsburg und Prof. Dr. Thomas Wieland von der Hochschule Coburg. Und die beiden verraten auch, auf welche Mannschaften sie bei der Europameisterschaft 2024 tippen: Hier geht’s zum Podcast auf Spotify , YouTube, Apple Podcasts und Amazon.