Körperlos Goethes Schubladen öffnen

Donnerstag. 11. Juli 2024 (Andreas T.Wolf)
Prof. Dr. Michael Markert und seine Studierenden probieren innovative Interfaces aus, hier im Neuen Museum Weimar. Foto: Hochschule Coburg
Prof. Markert erprobt die Steuerung am Goethe-Apparat. Foto: Hochschule Coburg
Das Interface Design Lab am Campus Design. Foto: Hochschule Coburg
Ein Plakat mit Bild von Goethes Arbeitszimmer und dem Design Lab Logo. Foto: Klassik Stiftung Weimar

In einem Pilotprojekt der Klassik Stiftung Weimar wurde Johann Wolfgang von Goethes Studier- und Arbeitszimmer digital und hochauflösend nachgebildet. Besucherinnen und Besucher können sich im Goethe-Nationalmuseum Weimar am „Goethe-Apparat“ einen realistischen Eindruck des Raumes machen. Wie er greifbar werden sollte, damit beschäftigten sich unter anderem Studierende des Fachs Integriertes Produktdesign der Hochschule Coburg. Ihre Arbeiten sind heute und morgen in Goethes Wohnhaus zu sehen.

Das eigentliche Arbeitszimmer Goethes in seinem Wohnhaus am Frauenplan darf ansonsten nur betrachtet, aber nicht betreten werden. Doch Besucherinnen und Besucher sollen mehr dürfen, als nur zu schauen. Sie sollen erleben, erkunden und lernen – und auch gern mal eine Schublade öffnen dürfen. Dafür braucht es den Kontakt mit dem Zimmer.

Gemeinsam mit der Agentur Digitus Art und der Direktion Digitale Transformation der Klassik Stiftung Weimar haben Prof. Dr. Michael Markert von der Fakultät Design und seine Studierenden nun an Vorschlägen für eine klare und intuitive Steuerung gearbeitet, damit Museumsgäste das Zimmer erkunden können. Aber wie bewegen sie sich, ohne zu laufen, in einem virtuellen Zimmer? Wie sehen sie sich ohne Körper um? Wie können sie eine Schublade öffnen oder Goethes Zeichentisch ausklappen? Das sind Fragen, mit denen sich Designer beschäftigen müssen, weiß Prof. Markert: „Denn es geht schließlich nicht nur darum, ansprechende Produkte zu designen, sondern auch um die wichtige Erkenntnis, dass die Benutzung und Bedienung von gestalteten Dingen auf uns rückwirkt und somit unser Verhalten gestaltet: Damit nimmt die Interaktionsgestaltung im Bereich des Produktdesign eine wichtige Rolle ein.“

Komplexe Gaming-Controller sind nicht für alle Benutzergruppen verständlich, darum mussten die Studierenden den Kernfragen der Interaktion, Orientierung und Navigation an der Schnittstelle zwischen digitalen, physischen und virtuellen Räumen nachgehen. Dafür entwarfen und modellierten die jungen Designer dank ihres Hintergrunds aus dem Produktdesign-Studium Bedienoberflächen, Eingabe-Geräte, Controller und Panels. Diese wurden dann mit Testpersonen erprobt und verbessert. Die Übersetzung von Eingaben mit physischen, „be-greifbaren“ – also anfassbaren Interfaces in eine Bewegung und Aktionen in einem virtuellen Raum, ist dabei nicht so einfach wie es scheint, sagt Prof. Markert: „Je nach Perspektive ist irgendwann rechts nicht mehr links, nämlich dann, wenn ich mich umdrehe“.

So wird Raum erfahrbar

Um diese Fragen zu beantworten, haben zehn Studierende an Lösungen gearbeitet, wie zum Beispiel Lea Kemmelmeier: Sie hat zwei intelligente Griffe entworfen, deren Bedienung auf natürlichen Bewegungen der Hände und Arme für Greifen, Öffnen und Schließen beruht. Damit können Gäste zum Beispiel Goethes Zeichentisch ausklappen oder die Schubladen am Arbeitstisch öffnen. Julia Kipke experimentierte mit einer Kugel-Steuerung, ein intuitiver und Maus-ähnlicher Track-Ball, dessen äußerliche Erscheinung Goethes „Stein des guten Glücks“ entspricht, eine Skulptur aus Goethes Garten, die seine komplizierte Beziehung zu Charlotte von Stein bildhauerisch thematisiert.

Bei der historischen Darstellung von Räumen in Museen muss man sich zwangsläufig auf eine bestimme Zeit festlegen, obwohl sich private und halböffentliche Lebensräume verändern. Es kommen neue Möbel hinzu, neue Wandfarben und neue Gegenstände. Fabian Söllner griff dieses Thema mit einer digitalen Zeitleiste auf. Nach Auswahl einer bestimmten Jahreszahl oder eines Themas ordnet sich der Raum entsprechend um.

Einen aktuellen Ansatz verfolgten Laura Ankenbauer und Nadja Chrystianowicz: Sie verwendeten einen KI-basierten Sensor auf einem Mikrochip, der Gesten erkennt. Durch diese natürliche Eingabeform kann natürlich und dennoch hochtechnologisch interagiert werden. Anders verhält es sich mit einem verkleinerten Modell des Arbeitszimmers: Stella Schrüfer hat physische Modelle, deren Objekte und Oberflächen direkt berührt werden können, gebaut.

Johannes Schmidt experimentierte mit Touch-Oberflächen, die ohne Blickkontrolle einfach bedient werden können. Über dem Touchscreen angebrachte schablonenartige Oberflächen können durch die Benutzenden intuitiv haptisch erfasst werden. Mit dieser Technik könnten auch ältere Tablets noch als universelle Controller für vielfältige Anwendungszwecke verwendet werden. An einer Multi-User Eingabe über mobile Geräte, die zukünftig auch Interaktionen von Zuschauenden ermöglichen soll, arbeitete schließlich Nils Rohlfs.

Diese Arbeiten sind bis 12. Juli in Goethes Wohnhaus im Sonderausstellungsraum, Zugang Hofdurchfahrt, in Weimar zu sehen. Bereits im Mai gab es beim Campus.Design Open an der Hochschule Coburg im Interface Design Lab in Coburg einen Einblick in die laufende Arbeit. Dies ist die zweite Zusammenarbeit mit der Klassik Stiftung Weimar, bei der schon im Juli 2023 spannende Projekte entstanden sind. Mit 31 Museen und Orten des Erlebens sowie 12 UNESCO-Welterbestätten zählt die Stiftung zu den größten und bedeutendsten Kultureinrichtungen Deutschlands. Das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien über die Kulturinitiative Neustart geförderte Pilotprojekt „Goethe-Apparat“ ist im Goethe-Nationalmuseum in Weimar zu sehen.